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Cäsar Cheyenne Choice



Nichts was wir tun, hat wirklich Sinn, sondern
für jeden Menschen eine andere Bedeutung




Choice und Cäsar sind ein fixer Bestandteil unseres Rudels









Diese Geschichte widme ich all jenen Hunden für die wir Menschen, alles bedeuten, wir aber erst viel zu spät erkennen, was sie für uns bedeuten.
 
KEINE WEIHNACHTSGESCHICHTE
 
Dies ist keine Weihnachtsgeschichte. Sie passt vielleicht in die angebliche Stille Zeit. Doch wer von uns hat das Privileg diese Vorweihnachtszeit in Stille zu erleben?
Es muss schon etwas Außergewöhnliches geschehen, um uns zu zwingen, innezuhalten, nachzudenken, Wertigkeiten neu zu ordnen. An einem solchen Punkt bin ich angekommen.
 
Nicht freiwillig, ich liebe die Hektik um die Feiertage.
Es ist die Selbstverständlichkeit, die einem dann so tief fallen lässt und die einem mit aller Brutalität vor Augen führt, wie schnell es für etwas zu spät sein kann. Das gilt für alle Lebensbereiche, besonders für Partnerschaften.
Im speziellen meine ich meine Partnerschaft zu Cheyenne. Während ich diese Zeilen schreibe liegt sie auf einem sterilen OP Tisch, ausgeliefert fremden Händen, von denen ihr Leben abhängt.
 
Was habe ich nicht alles versäumt? Wie oft hätte ich ihr mehr Verständnis entgegen bringen können, wie oft meine Liebe verweigert, wie oft meinen Stolz und meine Bewunderung für sie, für mich behalten?
Wie oft meinen Egoismus in den Vordergrund gestellt?
Werde ich das je wieder gut machen können?
Ich wünsch mir nichts sehnlicher als wieder mit ihr über einen Trail zu laufen, egal wie, auch wenn ich dabei keine Startnummer umhabe, nur ihr zu liebe, weil ich mit ihr soviel lernen durfte, und weil mir, wenn auch wahrscheinlich nur für wenige Momente, bewusst wurde, dass es einen Punkt gibt, an dem man versäumtes nicht wieder gut machen kann.
 
 
STORM
 
Ich weiß nicht, wie viele Meilen Storm und ich zusammen gelaufen sind. Achttausend, zehntausend zwölftausend Meile? Er war einer meiner ersten Hunde und hat mich fast alles gelehrt, was man über Schlittenhunde wissen muss. In den Jahren, die wir zusammen liefen, hat er mich kennen gelernt – besser womöglich als meine Familie. Er brauchte mich nur an zu sehen, und schon wusste er, wie es mir ging an diesem Tag, wie viele Meilen noch vor uns lagen, wie schnell wir laufen mussten. All dies wusste Storm.

Als ich mit dem Langstrecken-Rennen anfing, nachdem ich mit einem Arbeitsteam, einem Trapper-Team gelaufen war, als ich anfing, für den Iditarod zu trainieren, zog Storm mühelos mit, stellte sich auf das Tempo ein, fiel in diesen unermüdlichen Jogger-Trab und entwickelte eine unwahrscheinliche Ausdauer.
Nur eines machte ihm zu schaffen – die Langeweile. Eines Tages, wir liefen wieder eine Marathondistanz, erfand er ein Spiel, dem er Zeit seines Lebens treu bleiben sollte.
Wir waren schon vierzig bis fünfzig Meilen gelaufen, es war ein freundlicher, windstiller Tag, die Sonne strahlte und alles war gut. Die Hunde waren in einen Rhythmus gefallen, der sie noch hunderte oder tausende Meilen weiter getragen hätte, ohne je zu ermüden.
Und Storm langweilte sich.
Irgendwo, an einer Wegbiegung, ragte ein Ast über den Trail. Als Storm die Stelle passierte, sprang er hoch, packte den Ast mit den Zähnen und brach ein Stück davon ab. Es war ein Stöckchen, etwa zehn Zoll lang und er behielt es im Maul.
Den ganzen Tag.
Und bis in die Nacht. Er lief und behielt sein Stöckchen im Maul, wie ein Spielzeug, legte es beim fressen beiseite und hob es dann gleich wieder auf. Beim Einschlafen legte er das Stöckchen ordentlich vor sich hin, quer über seine Pfoten und beim Erwachen hob er es wieder auf. Bald war dieses Spiel eine Art von Geheimcode zwischen uns.
Er zeigte mir stolz sein Stöckchen, wenn wir Rast machten. Es war seine Art, Kontakt mit mir herzustellen, mir etwas zu sagen. Ich tätschelte seinen Kopf und nahm ihm sein Stöckchen aus dem Maul. Er knurrte leise, während ich es aufmerksam betrachtete. Dann nickte ich beifällig und gab es ihm zurück.

Jeden Tag suchte er sich ein neues Stöckchen. Und jedes Mal musste ich meinen Beifall dazugeben. Irgendwann, nach Wochen oder Monaten, kapierte ich endlich, dass er mir dadurch etwas zu sagen versuchte. Und das kam so:

Einmal, bei einem Vorbereitungsrennen zu Iditarod, als ich noch glaubte, es käme auf Wettkampf und Sieg an, hatte ich die Hunde zu hart angetrieben. Japsend standen sie im Geschirr und ließen die Köpfe hängen. Ich ging nach vorne zu Storm um ihn aufzumuntern und währen ich mich näherte, ließ er demonstrativ sein Stöckchen fallen. Ich hob es auch und hielt es ihm hin, aber er nahm es nicht und drehte den Kopf weg. Ich redete ihm gut zu und hielt ihm das Stöckchen an die Lippen, aber er ließ es fallen.

Als ich endlich begriff, was ich falsch gemacht hatte, hakte ich die Hunde aus und gab ihnen zu fressen. Vier volle Stunden saß ich neben dem Trail, ließ die Hunde rasten und schaute anderen Teams nach, die vorbeizogen. Ich fütterte die Hunde noch einmal, hakte die Zugleine wieder ein – und sah voll Dankbarkeit, dass Storm sein Stöckchen aufgehoben hatte. Seither habe ich stets nach dem Stöckchen geschaut - es war wie ein Stimmungsbarometer. Wenn ich es links und rechts neben Storms Kopf herausragen sah, wusste ich, dass alles in Ordnung, ich meine Sache richtig machte. Und es war immer da, dieses Stöckchen.
Auch bei Schneesturm und Kälte, auf langen Fahrten, auf diesen scheinbar endlosen Fahrten, wo es nur noch die Hunde und den Schlitten gibt und ringsherum Schnee, Nacht und Kälte – hatte Storm immer sein Stöckchen im Maul, um mir zu sagen:
„Alles klar Sir, alles klar…“

Und dann, lange nach meinem ersten Iditarod Rennen, kam für Storm die Zeit, wo er alt wurde. Acht Jahre, neun Jahre, zehn Jahre – das ist viel für ein Hundeleben. Er wurde langsamer. Er trainierte noch viele Welpen. Dann hörte er endgültig auf zu ziehen und spannte aus.

Wir versuchten einen Hofhund aus ihm zu machen, wollten ihm ins Haus nehmen – wie wir es manchmal machten, wenn Hunde in den verdienten Ruhestand traten. Aber er wollte nicht. Er polterte durch die Zimmer und versuchte durchs Fenster hinaus zu springen. Er war ein Schlittenhund, sein Platz war im Zwinger. Also ließen wir ihn draußen, hielten seinen Fressnapf immer gefüllt und ersparten ihm die Kette.
Ein Jahr lang war Storm der „alte Herr“ des Hundezwingers. Er saß in der Sonne, spielte mit den Welpen und sah das Team ausfahren und wiederkommen und immer hatte er sein Stöckchen. Er hielt es Maul, wenn ich in den Zwinger kam, um die Hunde anzuschirren und ausfahren, und hielt es im Maul, wenn ich heimkehrte.

Und wieder verging ein Jahr, und Storm wurde blind, und in seinem Kopf ging eine Veränderung vor. Trotzdem war er noch immer glücklich. Er hockte vor seiner Hütte, und wenn er mich kommen hörte, hielt er mir sein Stöckchen entgegen. Manchmal besuchte ich ihn und saß bei ihm in der Sonne, er legte den Kopf meine Knie – immer das Stöckchen im Maul – und ich dachte an manche Dinge, an längst vergangene und neuere, die ich mit Storm erlebt hatte, dachte an Welpen und Nordlichter und Flammenschein über klirrenden Schnee, an die Freude des Aufbruchs im aufsteigenden Sonnenlicht, hinein in den Diamantenregen des arktischen Winters.

Dann kam die Zeit, da es zu Ende gehen sollte. Storm wurde unsicher auf den Beinen und irrte richtungslos im Zwinger umher, stieß gegen Hundehütten und fraß nicht mehr viel – und da wusste ich, es würde nicht mehr lange dauern, bis er seinen Kopf nach Osten strecken würde, wie viele Tiere es tun, wenn`s ans Sterben geht. Ich wollte ihn freilassen, damit er den richtigen Platz für sich finden konnte.
Aber wir hatten neue Hunde im Zwinger, einige davon waren unsicher und aggressiv und suchten dauernd Streit. Sogar mit Storm wollten sie kämpfen, wenn er ihren Hütten zu nahe kam.

Obwohl es selten vorkommt, dass jüngere Hunde einen älteren angreifen, der hohen Respekt im Rudel genießt. Solch ein Ende wollte ich Storm ersparen und darum ließ ich ihn an der Kette, als eines Tages im Herbst zu einer längeren Fahrt aufbrach.
Es war ja nur vorübergehend, nur bis ich zurückkehrte… Aber während ich draußen im Gelände war, kam das Ende für Storm, und es kam nicht so, wie er es sich gewünscht hätte. In den letzten Stunden seines Lebens hatte er es irgendwie geschafft, seine Kette so ungeschickt um seine Hütte zu wickeln, dass er den Kopf nicht nach Osten richten konnte, dass er die Sache nicht richtig machen konnte.

Ich sah, wie sehr er sich bemüht hatte. Die Erde unter ihm war aufgewühlt von seinen Pfoten, er hatte gestrampelt und sich gequält um auf die andere Seite der Hütte zu kommen – aber er konnte die Kette nicht herausreißen, konnte sie nicht um die Hütte herumziehen, konnte die Hütte nicht von der Stelle rücken, konnte den Blick nicht nach Osten richten. Konnte die Sache nicht richtig zu Ende bringen.
Es war meine Schuld. Ich hätte wissen sollen, dass es sein letzter Tag war. Ich hätte es wissen und ihn freilassen sollen – auch auf die Gefahr eines Kampfes hin. Kämpfen entsprach ja seiner Natur. Die Hunde kämpfen gerne.
Aber ich hatte es versäumt.

Es war meine Schuld. Und als der Tod kam und Storm nicht nach Osten schauen konnte, wusste er, dass ich traurig sein würde. Er wusste, dass ich mich schlecht fühlen würde. Und so tat er das einzige, was er noch für mich tun konnte.

Als ich am nächsten Tag heimkehrte, ging ich gleich in den Zwinger, und es war still, unheimlich still, und dann stimmten die Hund den Todesgesang an, der ganz ähnlich klingt wie das Regenlied. Ich wusste, Storm war gestorben. Wusste es, noch bevor ich den Zwinger erreicht hatte. Es ist ein ganz leiser Gesang, der leise bleibt und nicht in jenes Winseln und Jaulen der Freude umschlägt, und ich empfand all die Traurigkeit, die uns am Ende eines Lebens befällt.
Ich ging hinein, um seinen Kadaver aus dem Zwinger zu holen und zu begraben.

Ich fand ihn neben seiner Hütte. Fand ihn gegen die Seitenwand gedrückt, an der straffen Kette, weil er versucht hatte, sich auf die andere Seite zu rücken, nach Osten. Die Erde unter ihm war aufgescharrt, und die Kette hielt seinen Kopf nach Norden gerichtet.
Aber Storm gab mir keine Schuld.
Ich werde mir immer selbst die Schuld geben – aber Storm gab nicht mir die Schuld.

Seine letzte Tat, sein letzter Gedanken galt mir. Storm lag tot, und im Maul hielt er sein Stöckchen – das Stöckchen – unser Stöckchen.
 
 
Von Gary Paulsen, aus „Lied der Wildnis“

 
 
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