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  Endlich Europameister
 
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Es war der 19. Oktober 2002 in Deutsch Gerisdorf. Ich, keine Ahnung vom Schlittenhundesport, aber fixiert von einer Idee.



Ich möchte mit einem Tretroller an den Wagenrennen teilnehmen. Nicht mit dem Mountainbike wie damals üblich, denn meine
„Rad-Karriere“ hatte ich, nach etlichen Jahren, beendet. Ich hätte es als Ergebnisverfälschung empfunden, wenn ich mit dem Rad gestartet wäre. Außerdem hatte ich mich entschieden bei den Schneerennen in der Kategorie Skijöring zu starten und als blutiger Anfänger auf den Langlauflatten, wollte ich es mir bei den Wagenveranstaltungen auch nicht zu leicht machen.
 
Es kam wie es kommen musste. In Österreich gab es sonst niemanden der mit einem Roller unterwegs war, daher musste ich in der Kategorie „Bike“ starten. Die mitleidigen Blicke und das Gefühl belächelt zu werden machte mir nichts aus, denn eines war mir sicher, ich gehe meinen Weg und ich kann genauso schnell wie die Biker sein.
 
Um mich wirklich mit meinesgleichen zu messen musste ich nach Deutschland fahren. In Bad Füssing fand ich Mitstreiter und somit wurde dort eine eigene Kategorie „Roller“ ins Programm aufgenommen.
 
In Österreich dauerte es nicht lange und den Radfahrern verging das Lachen. Natürlich hatte ich mit Cheyenne (Züchter Hans Reich) eine Hündin, die eine Ausnahme in der damaligen Szene darstellte.
Wenige Wochen später, in Rohr im Gebirge, gewann ich mein erstes Rennen mit dem Roller in der Bike Kategorie.
 
Seither sind viele Jahre vergangen und ich werde als Wegbereiter für diese Kategorie bezeichnet. Heute ist es ganz selbstverständlich mit dem Scooter, wie er jetzt genannt wird, an den Start zu gehen. Mittlerweile wird sogar in Klassen mit einem oder zwei Hunden gewertet.
Bei der Dryland EM in Reingers waren immerhin schon 18 Starter mit dem Scooter gemeldet.
Und hier beginnt sich der Kreis zu schließen. Normalerweise sehe ich solche Dryland oder Wagenrennen ausschließlich als Trainingsveranstaltung, aber nachdem die EM in Österreich stattfand, konnte ich nicht umhin, um auch zu melden.
 
Ich müsste Lügen, würde ich nicht zugeben, dies als „Meine“ Kategorie zu betrachten und es mir, aus sentimentaler Sichtweise, zustehen würde, diesen Titel zu holen.
Aber nachdem die Konkurrenz, auch aus den eigenen Reihen immer stärker wird, war es auch eine enorme sportliche Herausforderung. Insbesondere deswegen, weil Sebastian Astelbauer, den ich schon im Vorfeld als stärksten Herausforderer erachtete, in Seckau mit seinem „alten Mann“ Sager, noch die letzten Körner in mir mobilisierte.
 
Sechs Wochen vor der EM hing dann doch alles wieder an einem seidenen Faden. Beim wöchentlichen Badmintonspiel gab es plötzlich einen Schnalzer und ich lag am Boden. Im Spital diagnostizierte man einen Muskelfaserriss in der linken Wade.
Nachdem ich mit allen therapeutischen Finessen behandelt wurde konnte ich zwei Wochen später in Deutsch Gerisdorf an den Start gehen.
Dort wollte ich es wissen und mit meinen Hunden Choice und Cäsar ließen wir es so richtig krachen. Am Samstag waren wir auf den 6,9 Kilometern das schnellste Team aller Gespannklassen.
 
Dies, 160 Trainingskilometer und die Streckenlänge von nur 4,3 Kilometern in Reingers, machten mich sicher. Will jemand Europameister werden, dann muss er mich schlagen.
 
Nach der ersten Besichtigung war mir klar, dass der Kurs doch einige Tücken aufwies. Die ersten 300 Meter gingen bergauf, danach folgten einige Richtungsänderungen, welche bei den zu erwartenden nassen Bedingungen jederzeit potential zu Stürzen beinhalteten. Auch die darauf folgende Abfahrt war nicht ohne.
Nach einem kurzen, knackigen Anstieg durch den Wald wechselte, nach einer scharfen Linkskurve, der Untergrund kurz auf Asphalt, der aber schon bald darauf wieder in einen Schotterweg überging. Solche Passagen sind immer schwierig zu fahren. Danach war es eigentlich nur noch eine Temposache, gewürzt mit einigen Wurzelpassagen, bis kurz vor dem Ziel, eine rasante Walddurchfahrt, den Adrenalinspiegel wieder etwas in die Höhe treiben würde.
Um 14 Uhr 46 ging ich als vierter unserer Kategorie an den Start. Kurz nach den ersten Startern, die schon ab zehn Uhr unterwegs waren, begann es zu regnen und der Trail war eine einzige Schlammspur.
 
Das Kriterium lag nun darin ein Mittel aus Risiko und Tempo zu finden. Vom Start weg ergab sich ich die Möglichkeit ganz rechts zu halten, da die meisten Teams in der Mitte des Trails unterwegs waren und sich am Rand noch ein kleiner Streifen befand, der etwas trockener war.



Auch die Hunde hatten das erkannt und so konnten wir die ersten Meter ohne Probleme bewältigen. Das Ende des Anstieges erreichte ich sicherlich mit 180 Puls und rang nach jeden Kubikzentimeter Luft, welche ich aber nicht einatmen konnte, denn von meinem Vorderrad und den Hundepfoten flogen mir die Dreckpatzen nicht nur um Augen und Ohren sondern fanden ungehinderten Eingang in die Mundhöhle.
Kurz darauf hatte ich unfreiwillig kurze Erholung, denn in der von mir gefürchteten Passage ging mir das Hinterrad weg und der Roller flog in den Gatsch. Ich konnte ihn noch am Lenker festhalten und nebenher laufen. Nach einigen Schritten fand ich auch wieder die Möglichkeit aufzuspringen und die Fahrt mit nur wenig Zeitverlust fortzusetzen.
Zeit nachzudenken gab es so wie so nicht, denn die nächsten Hürden blieben nicht aus. Als auch dann der kleine Sprung über den Hohlweg gemeistert und die kleine Holzbrücke überwunden war, sah ich den vor mir gestarteten Österreicher Erich Vollmann. Wir hatten uns schon vor dem Start abgesprochen und so rechnete er schon mit meinem Kommen. Gleich nach der scharfen Linkskurve war genug Platz zum Überholen und er konnte noch einige Zeit davon profitieren, da sich seine Hunde auf meine Verfolgung machten.
 
Kurz vor der letzten Waldpassage tauchte Ulrike Ruckes aus Deutschland vor mir auf, die zwei Minuten vor mir gestartet war. Im Vorfeld habe ich mir ausgerechnet, dass ich sie eventuell auch noch überholen könnte. Wie durch Slalomstangen schlängelten wir uns durch den Wald und fuhren dann, Schulter an Schulter mit der Deutschen ins Ziel.
 
Ingrid, die mich zum ersten Mal auf einem Rennen begleitete, vergaß vor lauter Aufregung die Stoppuhr zu drücken und somit hatte ich absolut keinen Überblick über die Platzierungen.


Nach der Zieldurchfahrt versorgte ich die Hunde und war froh, dass sie sich ziemlich schnell verkrochen, denn der nächste Weg führte unweigerlich unter die Dusche.
Der Dreck verstopfte den Abfluss und beim Blick in den Spiegel sagte ich mir „Ich kenn dich zwar nicht, mach dich aber trotzdem sauber.“ Der zweite Gedanke war, „hab ich das in meinem Alter wirklich notwendig?“


Auch die Gespräche in der Dusche mit Sebastian und Gerald brachten keine wirklich Klärung über die Platzierungen nur, dass der Franzose, den wir nicht einschätzen konnten nicht wirklich eine Rolle spielen würde, aber der Tscheche Frantisek Fucik auch recht schnell gewesen sein muss.
Vom Gefühl her war es, bis auf den kleinen Ausrutscher, ein guter Lauf. Ich wüsste nicht wo ich noch Zeit gutmachen könnte, denn ich war ziemlich am Limit.
Bis zum Abend, dem Zeitpunkt an dem die Ergebnislisten ausgegeben werden, beruhigte ich mich damit, indem ich mir sagte, dass es nicht wichtig ist am ersten Tag Nummer Eins zu sein, sondern am Letzten.
 
Als wir am Abend, voller Erwartung, den Stadel betraten, kamen die ersten Gratulanten und dann wusste ich, dass ich zumindest in Führung bin. Wie knapp machte mir erst der Blick in die Ergebnisliste klar. Der Tscheche war wirklich schnell und nur 15 Sekunden hinter mir, nach weiteren drei, lauerte Sebastian Astelbauer. Erst der vierte, Gerald Osterbauer, war mit knapp zwei Minuten schon etwas abgeschlagen.
Das bedeutete für den zweiten Lauf alle Reserven geben und versuchen für den letzten Tag eine bessere Ausgangsposition zu erreichen.
 
Etwas verunsichert wurde ich, dass die Rennleitung meine lange Leine und den Umstand, dass ich keine Handschuhe trug, beanstandete.
Sicherlich es gibt ein Regelement, aber selbst im Winter trage ich nur äußerst selten Handschuhe, da mir darin einfach das Gefühl fehlt, auch die Leinenlänge macht in manchen Situationen Sinn, aber…
kein „Aber!!!“
Also am nächsten Morgen zu Michi Humplik eine neue Leine in Auftrag geben und nachdem es ja keine genaue Beschreibung der Handschuhe gibt, werden bei einem Paar, welches ich im Wohnwagen finde, einfach die Finger abgeschnitten. 
Es war doch ein komisches Gefühl, die Hunde nun fast zwei Meter eher vor dem Rad zu haben, aber was soll`s. Ich bin mir sicher, dass ich dadurch noch etwas schneller sein könnte, da nicht so viel Energie in der Leine verloren geht.
 
So, nun war ich der gejagte und es galt neu vorzulegen. Die Verhältnisse waren noch schlechter als am Tag zuvor, aber in Erkenntnis der Schlüsselstellen doch leichter einzuschätzen. Der Kurs war mit 4,3 Kilometer einfach sehr kurz und würde einen Fehler nicht verzeihen umso wichtiger wieder, das richtige Mittelmaß zu finden.
Im Ziel war ich dann so richtig fertig. Diesmal klappte es auch mit dem stoppen. Erklärtes Ziel war, den Vorsprung, wenn möglich auf eine Minute auszubauen und der Plan schien aufzugehen. Frantisek Fucik kam nach 1.40 ins Ziel, das bedeutete, dass er einen Gesamtrückstand von 55 Sekunden hatte. Nicht ganz was ich erhofft hatte aber doch beruhigend. Doch dieser Zustand wurde gleich wieder behoben, denn schon wenige Sekunden später erreichte Sebastian das Ziel und das bedeutete, dass er nun mein nächster Verfolger, mit nur 27 Sekunden Rückstand war.
 
 
 
Kein Grund also um ruhig zu schlafen, auch wenn ich mir immer wieder versuchte meine Vorteile ins Bewusstsein zu rufen. Da waren in erster Linie meine beiden Tophunde Choice und Cäsar, die den ganzen Trail durchgaloppieren konnten, meine achtjährige Erfahrung auf dem Roller, der Siegeswille und - 27 Sekunden Vorsprung.
Dagegen sprachen - ein Konkurrent der um 30 Jahre jünger ist als ich, dass meine bisherigen Versuche Europameister zu werden dreimal am zweiten Platz endeten und - nur 27 Sekunden Vorsprung.
 
Der Tag der Entscheidung. Ich musste nochmals meine Leine verkürzen. 13 Uhr 37. Knapp elf Minuten trennen mich noch von Erfolg, oder Enttäuschung. Der Trail wurde im Start- Zielbereich geringfügig geändert, um die Verhältnisse etwas zu entschärfen.
Es geht wieder bis zum Anschlag den Berg hoch. Draußen ist alles beim Alten. Ich fresse wieder den Dreck der mir ins Gesicht fliegt, komme gut durch die kritischen Passagen, doch dann schlägt mir das Herz bis zum Hals, denn den Strohballen der den Brückenpfeiler entschärfen soll, streife ich und gerate kurz aus dem Gleichgewicht. Die Hunde nehmen keine Notiz davon und rasen mit mir auf die Wiese hinaus, dem Wald entgegen.
Tunnelblick nennt man das Phänomen welches in gewissen Situationen das Sichtfeld einschränkt. Aber ich weiß, es muss so sein, denn nur wenn ich annähernd die Zeit der letzten Tage fahre, kann ich gewinnen. 
Bis jetzt war keiner schneller als ich, aber im Prinzip habe ich nichts an Zeit, mit der ich spekulieren könnte. Nochmals geht es über den verschlungenen Weg durch den Wald hinaus auf die Wiese, welche in Ziel führt. Ich habe das Gefühl zu fliegen, versuche konzentriert auf dem Roller zu stehen und dann ist es da – das Ziel.


Ich weiß, dass ich alles gegebne habe, brauch mir nichts vor zu werfen, wenn jetzt jemand schneller ist als ich, dann hat er es wirklich verdient.
Ich bedanke mich bei den Hunden, immer einen Blick auf die Uhr. Es vergehen 20, 30 Sekunden, dann sind es 33 und Sebastian ist noch nicht zu sehen, das bedeutet, dass er mich nicht eingeholt hat. Als er durchs Ziel fährt, habe ich 54 Sekunden Vorsprung auf ihn. Jetzt gilt es noch zu warten wann der Tscheche kommt. Nach 1.55 ist auch er geschlagen und ich habe es wirklich geschafft.
  
Endlich Europameister.
 
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