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  Marathon des Sables
 
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MARATHON DES SABLES






Erster April 2001. Für viele ein Tag zum scherzen. Für mich und 630 andere Starter aus 38 Nationen der Tag der Wahrheit. Um 9.00 Uhr an diesem Sonntag, fiel der Startschuss zum vielleicht härtesten und verrücktesten Laufevent den man sich vorstellen kann.
 
243 Kilometer in sechs Etappen, über sieben Tage, durch die marokkanische Sahara. Das Reglement bestimmt, dass jeder Teilnehmer diese Distanz in Selbstversorgung, das heißt alles benötigte muss in einem Rucksack mitgetragen werden, zurücklegen muss.
Der Veranstalter besteht auch auf einige Dinge, die so genannte Pflichtausrüstung.
Diese besteht aus mindesten 2000kcal. pro Tag, einem Schlafsack, Schlangenbissset, Feuerzeug, Messer, Signalspiegel und –pfeife, eine Notrakete und Notfalldecke. Einzig zwischen 9 und 11 Liter Wasser pro Tag werden zur Verfügung gestellt.
Die Navigation erfolgt per Roadbook. Theoretisch, denn ich werde mich an den zirka 400 Läufern oder Gehern vor mir orientieren. Es ist auch mein Ziel dieses Abenteuer einfach nur zu überstehen, Platzierung und im Speziellen Zeit, sind für mich nicht relevant, solange ich nicht aus dem Limit falle.
 
Die erste Etappe mit 25 Kilometern ist zum eingewöhnen, zum Abstimmen und die erste Bewährungsprobe für die Ausrüstung, den die wenigsten konnten unter diesen Bedingungen ihr Material testen.
Der Ausblick auf die Dünenkette die wir am nächsten Tag durchqueren müssen und die sich am Horizont, beim näher kommen immer bedrohlicher aufbaut, mahnt mich zur Besonnenheit.
Vielen gibt dies nicht zu denken und einige scheiden gleich am ersten Tag aus. Manche sogar weil sie sich einen Sonnenbrand einhandeln. Die Wüste selektiert schonungslos, aber solche Leute haben hier sowieso nicht zu suchen.
 
Tag zwei – 34 Kilometer, davon 22 nur Sanddünen. 16 Kilometer geht es permanent nur Dünen rauf, Dünen runter.
Wer sich hier seine 2 Liter Wasserration nicht wirklich optimal einteilt, hat keine Chance diesen Tag zu überstehen. Es sind etliche, die keinen Ausweg mehr vor Augen, ihre Notrakete zünden müssen, um vom Helikopter gerettet zu werden. Auf der zweiten Etappe müssen fast 30 Leute, im wahrsten Sinn des Wortes, ihre Träume im Sand begraben.
 
Der dritte Abschnitt über 38 Kilometer steht aber bereits im Zeichen des darauf folgenden Tages mit der 82 Kilometer Etappe.
Nur nicht unnötig Kraft vergeuden, den Wasserhaushalt genau planen. Doch ich komme trotzdem in Teufels Küche. Ich helfe jemandem aus der deutschen Gruppe.
Sie hat Krämpfe und fast nicht zu trinken. Ich gebe ihr reichlich von meinem Magnesium und muss den Verantwortlichen, die sie schon aus dem Bewerb nehmen wollen, versprechen, dass ich sie bis zum nächsten Checkpoint bringe. 3 Kilometer sind es bis dahin und es gilt auch noch einen Berg zu überqueren.
Wir schaffen es dann. Nach eineinhalb Stunden, von denen wir die letzten 20 Minuten nichts mehr zu trinken hatten. Das hört sich nicht lange an, ist aber Knüppelhart, wenn du jedem Tropfen Flüssigkeit benötigst.
 
Am Checkpoint angekommen, gebe ich sie im Medizelt ab und sie wird sofort mit einer Infusion behandelt. Leider ist sie eine von den 67% derer, die nach einer Infusion den nächsten Tag nicht überstehen.
 
Vielleicht hätte sie es geschafft stünden nicht 82 Kilometer am Programm. Die schnellsten 50 Männer und die 5 besten Frauen starten drei Stunden später als der Rest des Feldes. Ich bin bereits sechs Stunden unterwegs, als mich die Ersten dieser Gruppe überholen. 
Der Sieger, Lahcen Ahansal, sollte nicht länger als 6Std. 54Min.für die Strecke benötigen.
 
Ich hatte andere Probleme, soll ich durch die Nacht gehen oder doch etwas schlafen um den Rest des Weges erst am Morgen in Angriff zu nehmen.
Wenn ich es aber bis zum Sonnenaufgang schaffen würde, hätte ich einen Tag Ruhepause, da das Zeitlimit 43 Stunden beträgt. Ich entscheide mich, einfach so lange zu gehen, wie es ohne Probleme möglich ist.
 
So kommt es, dass ich nach Einbruch der Dunkelheit eine längere Pause einlege um zu essen. Von dort gehe bis zum nächsten Kontrollpunkt.
Um 22.30 Uhr erreiche ich Checkpoint 5, bei Km 56 und plane bis 02.30 zu schlafen.
Etwas abseits der Zelte, denn dort herrscht ein reges Kommen und Gehen, bereite ich mir einen Schlafplatz. Bevor ich meine Augen schließe, lasse ich noch den Mond und den grandiosen Sternenhimmel auf mich wirken. Es ist schon eine Ewigkeit her, dass ich zuletzt unter freiem Himmel geschlafen habe. Die Müdigkeit übermannt mich in wenigen Augenblicken und ich falle in einen traumlosen Schlaf.
 
Stürmischer Wind, der mir Sand ins Gesicht fegt und in Sekundenschnelle auch meinen Schlafsack anfüllt, lässt mich aus dem Zustand des Schlafes sofort alle Energie in meinen Körper schießen.
Im umdrehen kann ich gerade noch meinen Rucksack greifen und so das Schlimmste verhindern.
Ich verkrieche mich in den schützenden Daunen, lass nur eine Hand hinausragen die all mein Besitz festhält und verfalle wieder in einen Dämmerzustand der aber keinen Schlaf mehr zulässt.
Zu groß ist die Angst alles zu verlieren. Der Wind fegt über mich hinweg und lässt den Schlafsack wie ein loses Segel im Sturm erscheinen. Mein Entschluss steht bald fest, nur herum zu liegen hat keinen Sinn, das bringt mich keinen Meter weiter und an Schlaf ist nicht im Traum zu denken.
 
Also, zusammenpacken und weiter. Es ist kurz vor zwei Uhr als ich wieder aufbreche und nach einiger Zeit legt sich sogar der Wind. Ich kann eine grandiose Nacht durchschreiten. Es ist vollkommen ruhig kein Geräusch, nicht das Geringste säuseln eines Windes kein Vogelgezwitscher, kein entferntes monotones Motorengeräusch, nichts, nur ich und das Universum. Alleine für diese Nacht hat es sich gelohnt, all die Anstrengungen in Kauf zu nehmen.
Der nächste Tag bricht an und getragen von den Eindrücken der letzten Nacht beginne ich zu laufen. Nach genau 24 Stunden, die sicherlich zu den aufregendsten meines Lebens zählen, erreiche ich das Ziel der 82 Kilometer Etappe.
 
Das macht Mut für die Marathonetappe, ich werde versuchen sie auch laufend zu bestreiten.
Beim Start, um 9.00 Uhr hat es aber schon 39 Grad und so wird aus Mut, leider Übermut. Und wie das Sprichwort schon sagt, der tut leider selten Gut.
Bereits nach 10 Km merke ich, dass ich Schwierigkeiten gerate. Ich versuche die Notbremse zu ziehen und gehe ab den ersten Checkpoint. Doch das Unheil hat schon seinen Lauf genommen. Bei 54 Grad muss ich einen ausgetrockneten Salzsee überqueren und kann mich nur noch mit Mühe auf den Beinen halten.
Kurz vor der Kontrolle bei Km 33 stehen einige Bäume unter denen es den ersten Schatten des heutigen Tages gibt. Ich schleppe mich von Baum zu Baum unter denen es sicherlich um 20 Grad kühler ist. Das macht schon einen Unterschied ob 50- oder nur 30 Grad. Mein Magen spielt nicht mehr mit, ich bekomme Durchfall, was mich dem Checkpoint auch nicht näher bringt.
Endlich, nach sicherlich einer halben Stunde für die letzten 300 Meter erreiche ich ihn. Im Schatten einer Mauer pack ich meinen Schlafsack aus verkriech mich bei ca. 40 Grad und hoffe, mich so von meinem Schüttelfrost zu erholen. Ich muss unbedingt warten bis die Sonne tiefer steht und es kühler wird.
Erst um 18 Uhr mach ich mich wieder auf den Weg. Es liegen noch 9 Kilometer vor mir und es verbleiben drei Stunden bis zum Zeitlimit. So schlecht darf es mir einfach nicht gehen, dass ich das nicht schaffe.
So ist es dann auch. Genau um 20.00 Uhr erreiche ich das Ziel. Es ist schon lange finster und ich bin der letzte aus unserem Zelt, aber umso freudiger werde ich begrüßt.  
Meine Zeltkumpanen haben schon einige trockene Zweige für mich gesammelt, somit kann ich mir noch schnell heißes Wasser für mein Abendessen machen. Nach dem Essen verkriech ich mich in meinen Schlafsack und möchte nur noch, diesen Tag so schnell wie möglich vergessen.
 
Siebenter April. Der letzte Tag. „Nur“ 22 Kilometer, aber auch diese sind anstrengend. Ein beklemmendes Gefühl macht sich breit. Eigentlich hat man es ja schon geschafft aber auch diese letzten Kilometer bedeuten für mich nochmals rund viereinhalb Stunden zu gehen.
 
Auch die Sonne zeigt kein Einsehen nur der Wind hat fast gänzlich nachgelassen. Dadurch ist das Hitzeempfinden wesentlich deutlicher als sonst.
Aber dann ist es endlich vor Augen, das Zieltransparent. Die letzten Meter noch. Meine Sonnenbrille verbirgt die Freudentränen. 
Das Gefühl, etwas Besonderes geleistet zu haben, rinnt mir in einem kalten Schauer über den Rücken. 
Ich danke innerlich all den Menschen die es mir ermöglicht haben, hier teilzunehmen, besonders meiner Familie.
Es umarmen mich fremde Menschen mit denen ich irgendwann ein Stück des Weges gemeinsam gegangen bin. Dieser hat uns aber zur ewigen Seelenverwandtschaft verbunden.
 
In unseren Gedanken und Erinnerungen wurde ein unvergessliches und unauslöschliches Kapitel geschrieben. Die Wüste, wird für uns immer ein Ort der Sehnsucht bleiben.




Noch eingemummt in meinem Schlafsack, öffne ich meine Augen. Sie werden von den ersten Sonnenstrahlen, die durch, das aus alten Kaffeesäcken zusammen genähte Berberzelt dringen, zu einem dünnen Schlitz gepresst.
 
Die leisen Schritte die ums Zelt schleichen sind mir schon zur Gewohnheit geworden. Sie gehören zu der Arbeitstruppe, deren Aufgabe es ist, jeden Morgen die Zelte ab und am Etappenende wieder aufzubauen.
Ich erwarte das Unvermeidliche. Es bereitet ihnen jedes Mal eine besondere Freude diese einfache Behausung zum Einsturz zu bringen solange sich noch schlafende darin befinden.
Ich mache ihnen heute die Freude, denn es ist der letzte Tag den ich in der Sahara verbringen werde.
 
Ein lautes und langgezogenes „Yallah“ ist das Zeichen für die einen die Halteleinen zu lösen und für die, die auf der gegenüberliegenden Seite stehen, mit aller Kraft in ihre Richtung zu ziehen.
Die arm dicken Knüppel, die in der Mitte auf einfachste Weise das Zelt stützten, knallen mit einer Hölzernen Melodie die an Trommelschläge erinnern neben mir auf den staubigen Boden. Aus dem Augenwinkel sehe ich ihr breites und zahnloses Grinsen. Ich lass sie in dem Glauben mich überrascht zu haben.
 
Ich bin in Afrika.
 
Ich verkrieche mich ein letztes Mal in meinen Daunenschlafsack und lasse Freude und Trauer ihren Kampf ausfechten. Einerseits ist heute der Tag der letzten Etappe, mit 22 Kilometern auch die kürzeste und wie lange hab ich ihn herbeigesehnt, andererseits heißt es danach abschied nehmen.
Abschied von einem Leben wie ich es zuvor noch nie gelebt habe. In den letzten Tagen habe ich und alle Anderen noch im Rennen befindlichen auch, 221 Kilometer zu Fuß zurückgelegt.
 
Einige sind dabei gelaufen, viele so wie ich, sind gegangen. Bis vor einigen Tagen hab ich noch versucht ein bisschen Zivilisation aufrecht zu halten indem ich mich einmal, zwischen Sonnenauf- und –untergang, wenn auch nur notdürftig, mit dem übrig gebliebenen Wasser gewaschen habe.
Doch die letzten Tage waren immer eine Grenzwanderung an der psychischen und physischen Belastbarkeit und meine innere Stimme schrie wenn nur der kleinste Wassertropfen nicht den Weg in meine Kehle fand sondern unwiederbringlich auf andere Weise verloren ging.
 
Ich greife meine Beine entlang, die mit einer Schutzschicht aus alter Sonnencreme, getrocknetem Schweiß und einer feinen Schicht Saharaflugsand überzogen sind und es stört mich nicht im Geringsten.
Vor einigen Jahren hab ich einen Bericht im Fernsehen gesehen, über Menschen die mit allem was sie für eine Woche benötigen, verpackt in einem Rucksack durch die Wüste laufen.
Da dürfte es geschehen sein. In meinem Unterbewusstsein verblieb eine Spur, dieser ich nun folgen musste.
 
Einfach nur am Start zu stehen, mit 630 Anderen deren Wünsche und Hoffnungen zu teilen, war schon ein riesiges Erlebnis. Die erste Etappe über 25 Km, Einstimmung für die darauf folgenden Tage. Der zweite Tag mit 34 Km davon 22 Km nur Dünen war im Nachhinein gesehen Landschaftlich der schönste, wenn auch einer der schwierigsten Tage, was die vielen Ausfälle zeigten.
 
Doch die Sanddünen die es zu überwinden galt, hatten einiges mit unserer Bergwelt zu tun. Am dritten Tag 38 Km, - da war ich mit den Gedanken schon bei den 82 Km am darauf folgenden. So eine Distanz hatte ich zuvor noch nie bewältigt. Aber vor einem Jahr konnte ich mir auch nicht vorstellen einen Marathon zu laufen, doch in Athen erfüllte ich mir diesen Traum und nun fast doppelt so viel?
 
Bis zu dem Sandsturm der mich im Schlaf unter freien Himmel überraschte war es immer noch ein Kampf zwischen mir und den Bedingungen der Wüste. Der Versuch durch die täglichen Waschungen und das Sauberhalten des Rucksackes ließen mich nicht wirklich eins werden mit der Sahara. Doch ab diesem Zeitpunkt, ab den alles mit einer Schicht Sand überzogen wurde, ließ ich mich fallen und ich wurde ein Teil der kein Fremdkörper mehr sein wollte, in diesen scheinbar schier unbegrenzten Weiten, dieser für viele Menschen, unfreundlichsten Gegend der Welt.
 
Ich begann zu genießen. Der Marsch aus der Finsternis, begrenzt nur durch ein Sternenbild, dessen Ausmaß ich noch nie zuvor so wahrgenommen habe, in die morgendliche Dämmerung, war ein einziger Sinnesrausch. Der Höhepunkt meiner bis dahin undefinierbaren Suche nach Gründen oder Motive an solchen Bewerben teil zu nehmen, stellte sich schlagartig ein. Ich habe gefunden wonach ich unwissentlich gesucht hatte.
Nicht Selbstbestätigung, Grenzen körperlicher Leistungsfähigkeit oder streben nach Anerkennung, nein, -- ganz plötzlich wurde es mir klar.
 
Ich weiß nicht was mich veranlasste stehen zu bleiben, die Augen zu schließen und inne zu halten. Stille -- kein noch so entfernter Geräuschpegel, kein Wind, keine Vogelstimme -- einfach nichts als Stille.
Ein wahrlich unvergesslicher Moment, einfach seine Winzigkeit und Bedeutungslosigkeit im Angesicht des Universums vorgeführt zu bekommen.
Ein Rütteln an meiner Schulter reißt mich aus meinen Erinnerungen und mahnende Worte drängen mich, dass, auch wenn es nur 22 Kilometer sind, ich auch diese erst bewältigen muss um das Abenteuer Marathon des Sables erfolgreich zu beenden.
Erfolgreich heißt für mich nicht „der Weg ist das Ziel“, sondern „das Ziel ist das Ziel“. Zeit und Platzierung waren für mich von Anfang an nur sekundär.
 
Es gab aber einige für die Zeit, Maßstab und Zeichen ihres Erfolges waren. Der Marokkaner Ahansal Lahcen benötigte für die 243Km. 18.42 Stunden, die schnellste Frau, Franca Fiacconi, war sogar 8. in der Gesamtwertung, und ich? Ich hab es auch geschafft. Nur für die Statistik 468. Platz in 60Stunden 34 Minuten.
 
Für mich war es ein großartiges Abenteuer in dem ich die Stille gefunden, aber leider keine Antwort auf die Frage bekommen habe, ob es Sucht oder Sehnsucht ist, die mich immer wieder zu solchen Abenteuern treibt.







 
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